Alpine Kletterkünstlerin
Bei unseren Frühlingswanderungen - wie zum Beispiel auf den Bayrischzeller Seeberg - treffen wir sie momentan noch in den tieferen Lagen der Bergwälder an, im Sommer werden wir sie wahrscheinlich erst oberhalb der Baumgrenze in felsigem Gelände wieder sehen: die Gämsen. Ähnlich wie die Murmeltiere warnen sie die Mitglieder ihres Rudels mit einem lauten Pfiff vor drohender Gefahr, wenn sie mit ihrem ausgeprägten Geruchssinn und Sehvermögen Wanderer bereits aus großer Distanz wahrnehmen.
Die Gämse (vor der deutschen Rechtschreibreform auch „Gemse“ bzw. in der Jägersprache „Gams“) ist neben dem Steinbock das einzige ziegenartige Säugetier des deutschen Alpenraums. Charakteristisch ist der hell gefärbte Kopf, wobei von den Ohren bis zum Mundwinkel eine dunkle Längsbinde verläuft. Das Fell der Gämse ist im Winter dunkelbraun bzw. braunschwarz, lang und hat eine dichte Unterwolle. Im Sommer ist das Fell dann eher rotbraun, kurzhaarig und glatt.
Sowohl Böcke als auch Geißen tragen bis zu 30cm lange, an der Spitze rückwärts gebogene Hörner - Krucken oder Krickerln genannt. Diese werden im Gegensatz zum Hirsch- bzw. Rehgeweih im Winter nicht abgeworfen.
Die alpinen Tiere verfügen über eine erstklassige Sprungkraft, mit der sie bei Bedarf bis zu zwei Meter hohe Felsstufen und sechs Meter weite Lücken überwinden können. Dank der weichen, elastischen Sohle und dem harten Schalenrand ihrer Hufe finden Gämsen sowohl auf steilen Felspartien als auch auf glatten Eisflächen sicheren Halt, was sie bei jeder Jahreszeit zu ausgezeichneten Kletterern macht.
Die Gämsen ernähren sich vorwiegend von Blättern, Gräsern, Kräutern und jungen Trieben von Sträuchern. Im Winter fressen sie auch Moos und Flechten. Während Weibchen und Jungtiere ganzjährig in Rudeln von bis zu 30 Tieren zusammenleben, sind die Böcke bis zur Brunftzeit im Herbst Einzelgänger. Gamsböcke können ein Alter von 15 Jahren erreichen, die Weibchen werden bis zu 20 Jahre alt.
Aus dem Grannenhaar erlegter Böcke - einer verlängerten Haarpartie am Rücken / Widerrist - wird in Handarbeit der sogenannte „Gamsbart“ gefertigt. Eingeführt von den passionierten Gamsjägern Erzherzog Johann von Österreich (1782-1859) und Prinzregent Luitpold von Bayern (1821-1912) ist es heute noch Brauch und Ausdruck alpenländischer Lebensart, diesen als Hutschmuck zur Tracht bzw. Jagdkleidung zu tragen.
Günter Etschel │ ALMVOLK